So, 10.06.2007, 22:00 Uhr
MICROTON - Science and Sounds
“Für das Sonderprogramm des Kurzfilmfestivals haben wir Komponisten und Klangforscher aus den Bereichen Neue und Elektronische Musik gebeten, die Prozesse aus historischen und aktuellen Wissenschaftsfilmen zum klingen zu bringen. Ein Filmkonzert mit vibrierenden Sinustönen und Wassertropfen in stroboskopischem Licht.“ [Hanna Nordholt + Fritz Steingrobe] Musik von: Moxi Beidenegl, Gregory Büttner, Trautonia Capra, Evapori, Nikolaus Gerszewski, Peter Imig, Katja Kölle, Hans-Gunther Lock, Witwulf y Malik, Anders Mansson, Konstantina Orlandatou, Michael Petermann, Dodo Schielein, Matthias Schuster, Juan-Maria Solare, Akira Suzuki, Voicenoise, Heinz Weber, Hannes Wienertu.v.a.m. Katalogtext zum Kurzfilmfestival Hamburg: "Es schläft ein Lied in allen Dingen." MICROTON - Wissenschaft und Klang" Der Film ist ein viel zu reiches Medium, um es nur den Geschichtenerzählern zu überlassen. Am Anfang der Filmgeschichte stehen die Ingenieure, Forscher und Erfinder wie der Physiologe Étienne-Jules Marey, der bekanntlich aus einem umgebauten, halbautomatischen Gewehr die erste Filmkamera konstruiert. Die Chronophotographie und die Zerlegung von Bewegung in Einzelbilder, wie sie Eadward Muybridge mit seinen aufgereihten Kameras betreibt, bilden die Anfänge des wissenschaftlichen Films. Im frühen 20. Jahrhundert beginnt man an verschiedenen Instituten mit der systematischen Betrachtung von Prozessen unter Einbeziehung von Filmkameras und Projektoren. Erkenntnisgewinn stellt sich besonders dann ein, wenn das gesamte Spektrum der filmischen Tricktechniken, wie z.B. Zeitraffung und Zeitdehnung, Mehrfachbelichtung etc. zum Einsatz kommt. So, wie Mikroskope in immer kleinere Welten vordringen, verfeinert sich die Filmtechnik und gibt die Bilder frei, die das 20. Jahrhundert auf besondere Art prägen und repräsentieren. Die bildende Kunst findet hier reichhaltige Inspirationsquellen.Dass der wissenschaftliche Film eine strukturelle Verwandtschaft zur Musik hat, wollen wir im MICROTON-Programm zeigen. Bei diesem Experiment haben sich 16 internationale KomponistInnen und Klangforscher mit Prozess-Filmen aus den vergangenen 70 Jahren beschäftigt. Einige Stücke werden an diesem Abend im Metropolis Kino live aufgeführt.Spätestens seit den Forschungen von Hans Kayser wissen Musiker und Wissenschaftler, dass in allen Dingen die Schwingung wirksam ist, und dass sich Proportionen aus der Natur in musikalischen Intervallen und Tonleitern widerspiegeln. Am Hans-Kayser-Institut für Harmonikale Forschung hat man die Tonhöhe von Wasserfällen und Flüssen untersucht und herausgefunden, dass langsam fließende Gewässer in F gestimmt sind, während Wasserfälle in C-Dur schwingen. Joachim Ernst Behrend stellt sich in seiner Radio Soirée "Die Welt ist Klang" die Frage: " ... ob der europäische Mensch das C zum Ausgangspunkt seiner Musik gemacht hat, weil er aus dem Wasser kommt."Drei Filme des MICROTON-Programms beschäftigen sich mit Phänomenen des Wassers und seiner Wirbelbildungen. Hans Kaysers Erkenntnisse von harmonischen Gesetzmäßigkeiten im Mikrokosmos, wie beispielsweise in den Proportionen von Kristallen werden heute von Wissenschaftlern aller Bereiche bestätigt und es überrascht nicht, dass man von der Musik der DNA spricht.Peter Imig, der einen Film zum Kristallwachstum vertont hat, schreibt:"Die Kristallographie gehört zu den "klassischen" Forschungsgebieten der Harmonik: Spiegel-ebene Flächen, gerade Kanten, präzise Ecken - solche Eigenschaften an natürlich gewachsenen Kristallen lassen vermuten, dass sich "Materie" nicht einfach zu beliebigen Formen zusammenfügt, sondern feste Form- und Verhältnisgesetze die Grundlagen darstellen. Diese Gesetze kann man daraufhin untersuchen, ob sie auch in der Musik als "Harmonie" erlebbar sind. Der Münchner Kristallograph Max Glas gibt eine Einführung in sein Gebiet unter harmonikalen Gesichtspunkten in dem Seminar "Spiegelung - Drehung - Inversion: Übungen mit dem Raum der Kristalle". Da geht es um die 7 Kristallsysteme und die 32 Kristallklassen - mit speziellen Beobachtungen am kubischen System: die genaue Untersuchung des uns scheinbar so vertrauten Würfels zeigt auch seine Bedeutung für die 5 Platonischen Körper. In seinem Vortrag "Kristalle - Urformen musikalischer Harmonie?" faßt M. Glas die für die Harmonik bedeutsamen Ergebnisse kristallographischer Forschung zusammen."Ergänzend kann man Leibniz mit dem Satz "Die Musik ist eine verborgene arithmetische Übung der Seele, die dabei nicht weiß, dass sie mit Zahlen umgeht" zitieren. Und wenn Pythagoras davon spricht, dass "ein Fels zu Stein gewordene Musik ist", wird ihm kein Physiker der Gegenwart widersprechen.Der wissenschaftliche Film, der Prozesse beobachtet und auswertet, findet seine Entsprechung auch in der Arbeit der Feldforscher, die mit ihren Aufnahmegeräten akustische Phänomene untersuchen und in neuen Kombinationen Bezüge herstellen, die so noch nicht zu hören waren. Die Arbeit von Oliver Peters (EVAPORI) ist in diesem Geist entstanden und wird einem Film über molekulare Strukturveränderungen in Metallen eine weitere Dimension geben.Töne sind sowohl seelische als auch mathematisch-physikalische Werte und es scheint nur logisch, dass der Blick durch das Elektronen-Mikroskop seine musikalische Entsprechung finden kann. Max Planck faßte seine Erkenntnisse zur Quantenphysik in den einfachen Satz: "Die Natur macht Sprünge." Weiter gedacht tanzen die Atome und schwingen die Planetensysteme in großer Harmonie und wir ahnen, frei nach Goethe: "Die Sonne tanzt nach alter Weise in Brudersphären Weltgesang."Der Ausgang des Experiments zum "Klang der Wissenschaft" bleibt offen und die Wirkungen lassen sich nicht abschätzen. Wer die Intervalle und Akkorde hört, wird möglicherweise eine große Ruhe spüren und eine Idee von dem bekommen, was uns jenseits aller Alltäglichkeiten buchstäblich in Schwingung versetzt.Am Ende werfen wir zum wiederholten Male die Gebetsmühle an und zitieren David Lynch: "Wer das Kino nur als Geldvermehrungsmaschine betrachtet, wird feststellen, dass jede Art von Innovation verloren geht."Wir bedanken uns bei allen KomponistInnen und Klangforschern, beim Elektronischen Studio der Estnischen Musik- und Theaterakademie, beim IWF und dem Max-Planck-Institut für die Genehmigung zur Aufführung der Filme im Rahmen des MICROTON-Projektes.