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Positionen Nr.80 - Vierte blurred edges

Positionen Nr.80 - Vierte blurred edges

von Ilja Stephan Das Hamburger Off-Festival \„blurred edges\“ ist ein Musterbeispiel dafür, wie man aus der Not eine Tugend machen kann. Da die Stadt die Förderung der freien Musikszene nahezu eingestellt hatte, stellte die sich eben auf eigene Füße. Seit 2006 gibt es \„blurred edges\“ nun als eine offene Plattform für alle, die an experimenteller, improvisierter und elektronischer Musik interessiert sind. Für zwei Wochen im Jahr darf hier jeder teilnehmen, der zu diesen weit gefassten Genres etwas beizutragen hat. Es gibt weder eine zentrale Leitung noch einen zentralen Veranstaltungsort, nur ein Team von sechs Koordinatoren und eine wachsende Zahl autonomer Veranstalter. Die sind zumeist Musiker, Organisatoren und Kuratoren in eigener Sache und machen Programme und Events aus der Szene für die Szene. In den ersten drei Jahren musste \„blurred edges\“ dabei noch nahezu ohne Etat auskommen. Im vierten Jahre seines Bestehens ist das Festival nun Netzwerkpartner von Klang!, dem Hamburger Ableger des \„Netzwerk Neue Musik\“, geworden. Für die 40 Veranstaltungen an 24 verschiedenen Orten zwischen dem 1. und 16. Mai 2009 konnten die Organisatoren über einen Etat von 22 000 EUR verfügen. Einige neue Mitveranstalter – und der Verlust eines alten –, eine ambivalente Präsenz in den Leitmedien und eine noch buntere Mischung von Menschen, Orten und Klängen waren das Ergebnis dieser Kooperation. Als Mit-Veranstalter abgesprungen ist die links-autonome Rote Flora, \„Staatsknete\“ nimmt man dort grundsätzlich nicht. Hinzugekommen sind vor allem solche Veranstalter, die zu den etablierten Größen der Neue-Musik-Szene in Hamburg zählen. Der Ex-Kirchenmusiker Michael Petermann etwa hat mehrere Konzerte seiner Reihe \„Bunkerrauschen\“ im Rahmen des Festivals stattfinden lassen. So gehören nun auch J. S. Bach, Ligeti und Steve Reich in stylischer Atelieratmosphäre auf dem Cembalo gespielt zum Spektrum von \„blurred edges\“. Stärker vertreten waren auch die Alfred Schnittke Akademie International in einer gediegenen Bürgervilla und die Hochschule für Musik als Netzwerkpartner von Klang!. Versteht man den Festival-Namen (unscharfe Kanten) auch soziologisch, so kann man nur begrüßen, dass die Trennung von Sub- und Hochkultur bei der vierten Ausgabe von \„blurred edges\“ weniger rigoros war denn je. – Davon, dass auch wirklich jeder mit jedem reden und dessen Konzerte besuchen würde, ist man allerdings noch weit entfernt.Neu ist das Interesse des Medien-Mainstream. Im NDR-Stadtmagazin \„Hamburg Journal\“ etwa führte eine amüsierte Redakteurin dem sprichwörtlichen Mann von der Straße grafische Partituren von Christoph Herndler vor. Ob er die lesen könne. Er konnte nicht. Von ähnlichem Befremden zeugte auch die Aufforderung der Fernsehleute an den Komponisten Michael Maierhof, ob er nicht \„ein bisschen was Melodischeres\“ spielen wolle. Er wollte nicht. Und im Internet macht dank einer freundlichen Gabe des Stadtmarketings nun Michael Petermann vom Cembalo aus Werbung für Hamburgs autonomes Avantgardefestival.Solcher Stilblüten zum Trotz ist nicht zu leugnen, dass ein Festival, das aus der ungefilterten Sammlung von 40 Konzerten mit Nischen-Musik für Insider besteht, ein akutes Vermittlungsproblem hat. Vieles würde sicher weitaus mehr Leute anziehen, wenn die wüssten was dahintersteht. Der englische Pionier der freien Improvisation Eddie Prevost etwa gab zusammen mit den Hamburger Lokalmatadoren Sascha Demand und Burkhard Friedrich ein großartiges Konzert im Golden Pudel Club. Hier war Freiheit zu hören. Aber einen Steinwurf von den Häusern der Hafenstraße entfernt sollten sich eigentlich noch deutlich mehr Interessenten finden lassen für das, was einer wie Prevost über die gesellschaftliche und politische Dimension des Improvisierens zu sagen gehabt hätte. Ein guten Ansatz, mittels Themensetzung Wege durch den Konzertdschungel von \„blurred edges\“ zu bahnen, wählte der Bildende Künstler, Komponist und Veranstalter Nikolaus Gerszewski. Die Verbindung von verschiedener Künste zählt ohnehin zum Leitgedanken von \„blurred edges\“. Gerszewski organisierte also eine Ausstellung mit grafischen Partituren von dem aus Österreich eingeladenen Christoph Herndler, Michael Maierhof und ihm selbst. Parallel dazu wurden im Eröffnungskonzert in der gotischen Backsteinkirche St. Katharinen die Notationen vom Wiener Ensemble EIS musikalisch umgesetzt.Mit seiner bunten Musik-Melange bot \„blurred edges\“ 2009 noch mehr als in früheren Jahren einen zufälligen, willkürlichen und faszinierenden Querschnitt durch die diversen Lokalitäten und Szenen von Deutschlands zweitgrößter Stadt. Vor allem aber ist das Festival ein getreues Abbild der neuen Musik in all ihrer Vielfalt, ihrer Isolation und ihrer überschießenden Kreativität. Sammelsurium fensterloser Monaden oder fruchtbare Durchdringung von Künsten und Szenen, deren Kanten nicht länger scharf definiert sind, irgendwo zwischen diesen Polen liegt \„blurred edges\“. von Ilja Stephan, Positionen Nr. 80, August 2009, S.63-64, https://www.positionen.net

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