TAZ - Archipel verstreuter Inselchen
In Hamburg ist die Szene für Neue Musik rege, aber zersplittert. Dem Experimentellen, Elektronischen und Improvisierten jenseits des üblichen Konzerterlebnisses fehlt bislang eine starke Lobby, um sich etablieren zu können. Doch es gibt auch Lichtblicke wie das "blurred edges"-Festival im April von Ilja Stephan Er wolle dazu beitragen, die Neue-Musik-Aktivitäten in Hamburg zu "vernetzen" - damit aus dem Archipel verstreuter Inselchen eine "echte Szene" werde, sagte Musikhochschul-Präsident Elmar Lampson vor zwei Wochen der taz hamburg. Wie nötig dies wäre, zeigt schon der Vergleich mit anderen (kleineren) Städten: Kiel hat sich gerade sein eigenes Neue-Musik-Festival, "Chiffren", geleistet; das Kölner Kulturamt unterhält mit "Experimentierfeld Neue Musik" und "Klangvisionen" gleich zwei eigene Reihen und nutzt außerdem Synergien mit den vor Ort ansässigen Sendern DLF und WDR. Und in Hannover hat man zumindest seit 19 Jahren eine funktionierende und rege Gesellschaft für Neue Musik (HGNM). In Hamburg dagegen bedarf es einiger Endeckerfreude und Abenteuerlust, wenn man auf der Suche nach Klängen und Erfahrungen jenseits des üblichen Konzerterlebnisses ist. Wer sich nicht scheute, die kälteste Nacht des Jahres in einem ungeheizten Betonklotz zu verbringen, konnte etwa am 27. Dezember in SKAM im ehemaligen Mojo-Club die faszinierende Mischung aus Improvisationen der Stimmartistin Ge-Suk Yeo und des Cellisten Wittwulf Y Malik mit computergenerierten Klängen und Overheadprojektionen von Kathrin Bethge bewundern. Wer sich nicht daran stört, in Qualm und durchgesessenen Sofas zu versinken, kriegt in der "Freitagsmusik" im Linken Laden Sofortkompositionen für Küchengerät oder "Raumstation" zu hören. Computerfreaks und Elektronikbastler haben ihre Heimstatt in der "Hörbar" im B-Movie; die GEDOK veranstaltet eigene Workshops und Konzerte für ihre Künstlerinnen. Und wer die Hemmschwelle vor dem Betreten akademischer Institutionen überwindet, kann auch in Veranstaltungen des Studiengangs Multimedia-Komposition der Musikhochschule fündig werden. Die Szene fürs Experimentelle, Elektronische und Improvisierte in der Hansestadt ist rege, aber zersplittert. Die Gründe dafür sind vielfältig: Zum einen haben entsprechende Festivals in Hamburg eine zu geringe Lebensdauer oder eine zu schlechte Lobby, um sich wirklich zu etablieren: Das "hamburger musikfest", wo man auch Sinn fürs Gewagte hatte, wurde den "Ostertönen" mit Brahms-Schwerpunkt geopfert; das "Real Time Music Meeting" für improvisierte Musik fiel bereits 2003 dem Rotstift der damaligen Kultursenatorin Dana Horáková zum Opfer. Und das "Ausklang Festival" in der "Hörbar" musste in diesem Jahr erstmals ohne den bisherigen Zuschuss aus dem Kulturetat stattfinden. Zum anderen fehlt es der "Szene" aber auch an einem Zentrum, wie es Kampnagel für den Theater- und Tanzbereich ist, und vor allem an der entsprechenden Organisation. Seit Herbst 2004 gibt es einen "Verband für aktuelle Musik Hamburg" (vamh), der in den anderthalb Jahren seines Bestehens mit Unterstützung der Kulturbehörde eine Website (https://www.vamh.de) und eine Werbepostkarte auf den Weg gebracht hat. Doch es gibt auch Lichtblicke: Für April (19. bis 30.4.) plant der vamh ein gemeinsames "blurred edges"-Festival aller Veranstalter für experimentelle Musik. Ein Seitenblick auf die groß angelegte "clubtransmediale" für "abenteuerliche Musik und visuelle Künste" in Berlin zeigt, was aus solch einem Ansatz werden könnte. In Hamburg kann von Synergien mit der größten ortsansässigen Sendeanstalt zwar nicht die Rede sein, aber immerhin gibt es beim FSK mit dem "Klingding" an jedem dritten Freitag im Monat von 22 bis 0 Uhr einen festen Sendeplatz. Auch im Veranstaltungsbereich gibt es neue Orte und Player: Der Künstlerverbund "Weißer Rausch" hat im Bunker an der Feldstraße die Reihe "Bunkerrauschen" aufgelegt; das "ensemble Integralés" stellt in der Opera stabile seinen "link to today's music" vor; und in der Musikhochschule arbeitet man daran, dem Neue-Musik-Projekt "studio 21" samt eigenem Ensemble mit Hilfe von der Zeit-Stiftung bereit gestellter 180.000 Euro echtes Leben einzuhauchen. Ilja Stephan, TAZ, 3.4.2006 http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2006/03/13/a0002