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FAZ: Am liebsten umsonst

FAZ: Am liebsten umsonst

von ANNIKA MÜLLER Warten auf Fördergelder lohnt sich nicht. In Hamburg erwacht die NeueMusik ganz unabhängig zum Leben. Das Festival "Blurred Edges" beweistes. Hamburg ist nicht gerade bekannt für seine Neue-Musik-Szene. Dass dieseSzene aber sehr wohl existiert und zudem recht vital ist, zeigt dasFestival "Blurred Edges". Ins Leben gerufen wurde es vom "Verband füraktuelle Musik in Hamburg" (VAMH), der im Jahr 2004 als Reaktion aufdie Sparmaßnahmen der Stadt entstand. "Die Förderung der freienMusikszene Hamburg ist im Prinzip aufgegeben", hatte der Musikreferentder Kulturbehörde, Helmut Tschache, im Jahr zuvor gesagt. Die Gelderfür freie Musikprojekte wurden fast ausnahmslos gestrichen und bisheute nicht wieder aufgestockt. Standen in den neunziger Jahren noch550 000 Mark Projektmittel für die freie E-Musik zur Verfügung, so sindes nach Angaben des VAMH im Jahr 2008 nur noch 50 000 Euro - und davonwiederum geht nur ein Bruchteil an die Neue Musik. Die Hansestadt werdezur kulturellen Provinz verkommen, lautete die Befürchtung der Künstlerund Veranstalter. Besonders um den Stand der Neuen Musik machte mansich Sorgen - zu Recht, wie sich zeigen sollte. "Viele Musiker wie derImprovisationskünstler Burkhard Beins oder das Ensemble ,La pour la'haben Hamburg inzwischen verlassen und sind anderswo bekannter",bedauert Heiner Metzger, Gründungsmitglied des VAMH. Die Künstler, diegeblieben sind, klagen über schlechte Infrastruktur und mangelndeRäumlichkeiten. Immerhin haben sie nun mit dem Verband eine Lobby, die zusehens stärkerwird. "Wir werden endlich auch von der Stadt wahrgenommen", so dieKomponistin und Klangkünstlerin Dodo Schielein, die den Verbandmitbegründete. Mit dem Festival "Blurred Edges", das nun bereits imdritten Jahr vor allem ansässigen Künstlern ein Forum bietet, kommtmerklich Bewegung in das Musikleben Hamburgs. Trotz des geringenBudgets - der deutsche Musikrat stellte 5000 Euro zur Verfügung -stehen in diesem Jahr immerhin fünfzig Konzerte auf dem Programm. Auchmuss das Festival trotz fehlender Mittel auf bekannte Protagonistennicht verzichten. "Wir haben das Glück, dass viele Künstler für unssogar umsonst spielen", sagt Schielein. Mit Christian Wolff konnte dereinzige noch lebende Komponist der amerikanischen Künstlergruppe umJohn Cage für mehrere Veranstaltungen in der Altonaer Christianskirchegewonnen werden. Hier präsentierte er sein neues Stück "Metal undBreath" mit dem Ensemble TonArt und gemeinsam mit John Tilbury Werkefür Klavier. Die Besonderheit des Festivals sind aber nicht die auswärtigenKünstler, sondern die Einsichten in die vitale, aber sonst versteckteHamburger Alltagskultur, die hier verdichtet wiedergegeben wird."Blurred Edges" kommt dabei ohne künstlerische Leitung aus. "DerVerband für neue Musik ist nicht Kurator sondern Koordinator", so derImprovisationskünstler Metzger. Als Organisationsbasis dient die ihremWesen nach demokratische und billige Struktur des Internets. DieVeranstalter sind für ihre Konzerte selbst verantwortlich und richtendiese in Kirchen, Ateliers, Theatern und vor allem Clubs überall in derStadt aus. Dabei öffnet sich das Festival auch für die U-Musik undvereint komponierte Musik, Improvisation und Elektronik mitAvantgarde-Rock, Punkkonzerten und DJing. Wie der Titel schon sagt,verschwimmen bei "Blurred Edges" die Ränder der zeitgenössischen Musik,fließen die Genres ineinander. In der "Astra-Stube", einem kleinen, angesagten Club unter einerS-Bahnbrücke, wird sonst überwiegen Rockmusik gespielt. Im Rahmen desFestivals traf hier die neue, elektronische Musik von Malte Steiner,alias "Notstandskomitee" auf eine kanadischen Band, die sich mit ihrerexperimentellen Popmusik weit abseits von der E-Musik bewegt. In derverschwitzten Atmosphäre des winzigen Konzertraumes animierte "Trike"mit ihrer wahnwitzigen Bühnenshow das Publikum sogar zum Tanzen. DurchVeranstaltungen wie diese, in denen verschiedene Spartengleichberechtigt nebeneinander stehen, erreicht das Festival auch einPublikum, das sonst den Kontakt zur E-Musik scheut - sie nun aber inihren vertrauten Clubs und in Verbindung mit Bands aus der Rock- undPopmusik begeistert aufnimmt. Die Konzertreihe, die Michael Petermann mit seinem Künstlerverbund"Weißer Rausch" präsentiert, entsprechen durchaus den Erwartungen anNeue-Musik-Veranstaltungen. Ungewöhnlich ist allerdings der Ort: Einriesiger Bunker an der Hamburger Feldstraße. Schlecht beleuchtete Gängeführen zu dem Atelier im vierten Stock, in dem Petermann schon seiteinigen Jahren die Reihe "Bunkerrauschen" ausrichtet. Der Raum istwider Erwarten hell. Durch die Fenster beobachtet man das Treiben des"Doms", des großen Hamburger Volksfestes und sieht die Kabinen desRiesenrads vorbeiziehen. Doch kein Laut dringt durch die meterdickenWände herein. Stattdessen erklingt Bach. Petermann spielt dasWohltemperierte Klavier auf dem Nachbau eines historischen Cembalos. InSteve Reichs "Electric Counterpoint" greifen der Klang diesesIntruments und die zuvor eingespielten elektronische Samplings so starkineinander, dass sie kaum mehr zu unterscheiden sind. Auch Petermannszahlreiche Veranstaltungen kommen ohne Unterstützung der Stadt aus."Ich bemühe mich schon lange nicht mehr um Fördergelder", sagtPetermann, "Das lohnt sich nicht". Festivals für neue Musik hatten in Hamburg bislang geringe Lebensdauer:Das "Hamburger Musikfest" fiel ebenso dem Rotstift zum Opfer wie das"Real Time Music Meeting" für improvisierte Musik. Das "AusklangFestival" in der "Hörbar" ist ohne den früheren Zuschuss geschrumpft.Diesem Schicksal will "Blurred Edges" durch seine dezentrale Strukturentgehen. Außerdem kann es auf Gelder des neu geschaffenen bundesweiten"Netzwerk Neue Musik" hoffen. Sein Fortbestand ist zu wünschen, ist esdoch Beweis für die Vielfalt und Lebendigkeit der freien HamburgerMusikszene. F.A.Z., 24.04.2008, Nr. 96 / Seite 36

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