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Die Welt - Wohl dem, der ein mystisches Mantra dabei hat

"Die Welt" zum Feldman Konzert "For Bunita Marcus" am 8.5.2009 im Steiner Haus "Wem Zeit ist wie Ewigkeit / und Ewigkeit wie die Zeit, / der ist befreit / von allem Streit" - mit diesem Sinnspruch des Mystikers Jakob Böhme ließe sich das quasi zeit-enthobene Spätwerk des New Yorker Klangteppichknüpfers Morton Feldman triftig umschreiben. Mir jedenfalls kreiste der Vierzeiler während des gleichmütig changierenden Tongewebes "For Bunita Marcus", das der Hamburger Klavierpädagoge und Konzertpianist Christof Hahn im Saal des Rudolf-Steiner-Hauses am Mittelweg mit konzentrierter Hingabe 90 Minuten lang zelebrierte, unablässig im Kopf herum. Genau so gut, oder besser, hätte das äolsharfenartige Ton-, Intervall- und Akkordgetröpfel "Patterns in a Chromatic Field" heißen können - so der Titel des eigentlich angekündigten Stücks, das wegen einer Erkrankung des Cellisten Charles Curtis nicht zum Vortrag kam. Die Musik Feldmans - der die "absichtsvolle Absichtslosigkeit" seines Impulsgebers John Cage auf die Spitze trieb, um das Diktat der Normaluhr zu brechen - fordert die Geduld des Hörers durch das, was sie nicht hat: Melodische Kontur, taktgebundenen Rhythmus, Kontrapunkt, Puls, Dynamik, sinnfällige Proportionen, zielgerichtete Dramaturgie. Sie kennt kein Woher und Wohin. Sie ist unvermittelt da, dehnt sich aus, mutiert, häutet sich, eckt an, stockt, erschlafft, besinnt sich wieder und stiehlt sich unversehens davon. Sie ähnelt dem Farb-Dripping, das die riesigen Leinwände eines Jackson Pollock überzieht, erinnert an das Action Painting von Willem de Kooning oder die lyrische Farbfeldmalerei Mark Rothkos, die über den Bildrand hinausdrängt. Insofern passte der Abend genau in den Themenrahmen von "blurred edges" (verschwimmende Ränder): Stichwort der gegenwärtigen "Tage aktueller Musik in Hamburg", mit denen sich die Konzertreihe "Zeitzeichen" im Kulturhaus der Anthroposophen verbündete. Das karge Publikum versank so folgsam in Feldmanns Zeitlosigkeit, dass mir ein Blick auf die Uhr wie Sünde vorkam. ll Welt Online, 11. Mai 2009 http://www.welt.de/die-welt/article3715611/Wohl-dem-der-ein-mystisches-Mantra-dabei-hat.html

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